In einem aktuellen Fall von mir weigerte sich ein Elternteil, dem anderen mit sorgeberechtigten Elternteil die Vollmacht für die Beantragung eines Reisepasses zu erteilen. Hintergrund war die Angst, der andere könnte mit den Kindern ohne Zustimmung und ggf. dauerhaft ins Ausland reisen. Das Familiengericht hat darauf geantwortet:
“Sehr geehrte Frau Rechtsanwältin Thomas, der Antrag [keinen Reisepass ohne Einwilligung beider Elternteile zu beantragen] dürfte keine Aussicht auf Erfolg haben.
Nach § 1687 BGB ist bei getrennt lebenden Eltern ihr gegenseitiges Einvernehmen nur erforderlich in Angelegenheiten, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist. Das ist hier jedoch nicht der Fall.
Denn die Beantragung eines Reisepasses/Kinderausweises und die Urlaubsreise nach Österreich hat „keine schwer abzuändernden Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes” (§ 1687 Abs. 1 Satz 3 BGB). Für Angelegenheiten des täglichen Lebens aber hat der Elternteil, der das Kind allein betreut, die Befugnis zur alleinigen Entscheidung.
Einen Reisepass zu beantragen ist eine Angelegenheit des täglichen Lebens
Zur Frage der Antragstellung für die Ausstellung eines Passes oder Passersatzes für unverheiratete Minderjährige gelten die im Jahre 2000 geänderten Regelungen in Nr. 6.1.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Durchführung des Passgesetzes (PassVwV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Juli 2000 (BAnz. Nr. 179 vom 21. September 2000: GMBI Nr. 31, S. 587).
Der dritte Absatz der Verwaltungsvorschrift entspricht § 1687 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB. Bei der Ausstellung eines Reisepasses oder Passersatzdokumentes handelt es sich nach heutiger herrschender Auffassung nicht um eine Angelegenheit, deren Regelung für das Kind im Sinne des § 1687 Abs. 1 Satz 1 BGB “von erheblicher Bedeutung” ist, wie etwa Entscheidungen über die Schul- und Berufswahl, schwerwiegende medizinische Eingriffe u.a.m. Vielmehr kann der Vorgang als Entscheidung “in Angelegenheiten des täglichen Lebens” angesehen werden, in denen die Befugnis dem Elternteil zukommt, der die Obhut über das Kind ausübt.
Auch im Sinne der gesetzgeberischen Zielsetzung, bei nicht nur vorübergehend getrennt lebenden Eltern dem dauerhaft die Obhut über das Kind ausübenden Elternteil eine möglichst konfliktfreie Wahrnehmung des gemeinsamen Sorgerechts zu ermöglichen, erscheint es geboten, die Beantragung eines Reisepasses oder Passersatzdokumentes nicht von der Mitwirkung des anderen Elternteils abhängig zu machen.
Für die in der Verwaltungspraxis am häufigsten vorkommenden Fallgruppen gelten danach folgende Regelungen:
a. Die Ausstellung eines Passes für unverheiratete Minderjährige bedarf der Beantragung beider Elternteile, wenn ihnen die elterliche Sorge gemeinsam zusteht. Die Antragstellung kann durch lediglich einen Elternteil erfolgen, wenn dabei das Vorliegen des Einverständnisses des anderen Elternteils bestätigt wird und Zweifel an der Richtigkeit dieser Angabe nicht bestehen.
b. Sofern ein sorgeberechtigter Elternteil aus tatsächlichen Gründen verhindert ist, die elterliche Sorge auszuüben, ist dessen Zustimmung zur Beantragung eines Passes für das unverheiratete minderjährige Kind durch den anderen Elternteil nicht erforderlich.
c. Leben Eltern, denen die elterliche Sorge gemeinsam zusteht, nicht nur vorübergehend getrennt, darf allein der Elternteil, bei dem sich das unverheiratete minderjährige Kind (mit nur in Zweifelsfällen nachzuweisender Einwilligung des anderen Elternteils oder auf Grund einer gerichtlichen Entscheidung)
gewöhnlich aufhält, den Pass beantragen.
Die Berliner Bürgerämter sind als Pass- und Ausweisbehörden gehalten, entsprechend den vorstehenden Regelungen zu verfahren und den Kinderausweis allein auf den Antrag der Kindesmutter hin zu erteilen.
Sofern das mit der Sache befasste Bürgeramt von diesen Regelungen abweicht, sollte der Fall der Senatsverwaltung für Inneres mitgeteilt werden, damit diesem von dort aus nachgegangen werden kann. Das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten wurde in der Vergangenheit aus Anlass gleich gelagerter Fälle von der Senatsverwaltung für Inneres bereits gebeten, die bezirklichen Bürgerämter erneut auf die Verfahrensregelungen bei der Ausstellung von Pässen und Passersatzpapieren nach der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Passgesetzes hinzuweisen.
Urlaub im Ausland kann gewöhnlich nicht verwehrt werden
Auch der von der Passbeantragung zu unterscheidende Entschluss, das Kind urlaubsweise ins Ausland mitzunehmen, bedarf keiner Zustimmung des anderen Elternteils und damit keiner gerichtlichen Regelung. Nur in besonderen Einzelfällen kann eine Auslandsreise erhebliche Bedeutung für das Kindeswohl erlangen (in der Regel jedoch nicht für Klassenfahrten, Urlaub innerhalb von Europa), und nur für einen derartigen Entschluss kann ggf. das gegenseitige Einvernehmen beider Elternteile nach § 1687 Abs. 1 Satz 1 BGB erforderlich sein, nicht aber für eine vorangegangene Beantragung eines Passes/Passersatzdokumentes oder für die Unternehmung einer gewöhnlichen Auslandsreise.”
November 2016