Verfahrenskostenhilfe

Aktuelle Gerichtsentscheidung aus Berlin zum Thema der Verfahrenskostenhilfe:

” … hat der 3. Zivilsenat des Kammergerichtes … als Einzelrichter am 8. Dezember 2016 beschlossen:

Auf ihre sofortige Beschwerde wird der Mutter unter Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg (Familiengericht) vom 15. November 2016 ratenfreie Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Verfahrensbevollmächtigten bewilligt.

Gründe

I.

Die Mutter begehrt Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für den von ihr im eigenen Namen anhängig gemachten Antrag auf Regelung des Umgangs des von ihr getrennt lebenden Vaters mit dem in ihrem Haushalt lebenden Kind, für das den Eltern die elterliche Sorge gemeinsam zusteht. Es gebe in den letzten Monaten vermehrt Streit über die Ausübung des Umgangsrechts. Der Umgang werde nur noch spontan, unregelmäßig und nach Auflagen des Vaters wahrgenommen. Sie wünsche den Umgang des Kindes mit dem Vater, die Unregelmäßigkeiten führten jedoch zu ständigem Streit der Eltern. Die Vermittlung des Jugendamts sei gescheitert. Das Amtsgericht hat der Mutter Verfahrenskostenhilfe versagt, weil der Umgangsregelungsantrag keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe; der Antrag sei unzulässig, die Mutter nicht antragsberechtigt. Die durch das Verfahren verursachten Kosten seien mutwillig verursacht. Warum die Ablehnung eines unangemessenen Umgangswunsches des Vaters in Streitigkeiten ausarten muss, erschließe sich dem Gericht nicht. Wenn der Vater mit dem ihm zugestandenen Umgang nicht einverstanden sei, obliege es ihm, ein Umgangsverfahren anzustrengen. Gegen den ihrer Verfahrensbevollmächtigten am 21. November 2016 zugestellten Beschluss hat die Mutter am Folgetag bei dem Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg sofortige Beschwerde einlegen lassen. Die beteiligten Eltern stritten erheblich über die Modalitäten des Umgangs, die Streitigkeiten würden zumeist vor dem Kind geführt. Es sei mehr als einmal passiert, dass die Mutter erst auf dem Weg zur Kita erfahren habe, dass der Vater das Kind bereits abgeholt habe. Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 25. November 2016 nicht abgeholfen. Eine Regelung des Umgangs von Amts wegen sei nicht erforderlich. Die Mutter könne einem unberechtigten Umgangsverlangen des Vaters widersprechen.

II.

Die gemäß § 76 Abs. 2 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere frist- und formgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist begründet. Der Mutter ist Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Verfahrensbevollmächtigten zu bewilligen (§§ 76 Abs. 1 FamFG, 114 f. ZPO).”

Das Verfahrenskostenhilfeverfahren dient nicht dem Zweck,

über zweifelhafte Rechtsfragen

im Vorraus zu entscheiden

“Da das Prozesskostenhilfe- bzw. Verfahrenskostenhilfeverfahren nicht dem Zweck dient, über zweifelhafte Rechtsfragen abschließend vorweg zu entscheiden, darf ein Gericht die Erfolgsaussicht nicht verneinen, wenn eine solche Rechtsfrage zu klären ist, auch wenn das Gericht in der Sache zu Ungunsten des Antragstellers entscheiden möchte: Entsprechendes muss dann gelten. wenn sich in tatsächlicher Hinsicht schwierige und komplexe Fragen stellen (BGH, Beschluss vom 20. Mai 2016 — V ZB 140/15, Rdnr. 15 bei juris). Im vorliegenden Fall stellen sich sowohl rechtliche Zweifels- als auch in tatsächlicher Hinsicht schwierige und komplexe Fragen.

a) Unter welchen Voraussetzungen der betreuende Elternteil – insbesondere bei gemeinsamer elterlicher Sorge – befugt ist, ein Verfahren zur Regelung des Umgangs einzuleiten, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.

Einerseits wird vertreten, das Kind habe einen klagbaren und vollstreckbaren Anspruch auf Umgang; in diesem Verfahren müsse das Kind durch den alleinsorgeberechtigten Elternteil oder einen Verfahrenspfleger (!) vertreten werden (Poncelet in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 8. Aufl. 2017, § 1684 BGB, Rdnr. 155). Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Durchsetzung eines fremden materiellen Rechts im eigenen Namen (gewillkürte Prozessstandschaft) stets unzulässig sei, wenn das einzuklagende Recht höchstpersönlichen Charakter hat und mit dem Rechtsinhaber. in dessen Person es entstanden ist, so eng verknüpft ist, dass die Möglichkeit, seine gerichtliche Geltendmachung einem Dritten im eigenen Namen zu überlassen, dazu im Widerspruch stünde. Dies gelte auch für das Recht des Kindes zum Umgang mit einem Elternteil nach § 1684 Abs. 1 BGB. Auch dieses Recht könne deswegen nur durch das Kind – vertreten etwa durch den sorgeberechtigten Elternteil – geltend gemacht werden. Weil der antragstellenden Mutter im entschiedenen Fall das von ihr geltend gemachte Recht auf Umgang des Vaters mit seinem Kind aber nicht persönlich zustehe und sie das höchstpersönliche Recht des Kindes auch nicht in Prozessstandschaft für das Kind geltend machen könne. habe das Beschwerdegericht ihren Antrag im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen (BGH. Beschluss vom 14. Mai 2008 — XII ZB 225/06. BGHZ 176, 337-341). Diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs sei eindeutig. Ob der umgangsverpflichtete Elternteil den Umgang ganz ablehnt oder aber eine bestimmte Ausgestaltung wünscht, sei für die Frage des Antragsrechts irrelevant. Ein eigenes Recht des betreuenden Elternteils auf Regelung des Umgangs sehe die gesetzliche Vorschrift des § 1684 BGB nicht vor. Dass die Mutter eine gerichtliche Regelung des Umgangs für ihre eigenen Dispositionen wünscht, gebe ihr kein eigenes Antragsrecht (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28. Februar 2014 — 16 WF 53/14, Rdnr. 16 bei juris).

Andererseits wird vertreten, das Familiengericht könne gemäß § 1684 Abs. 3 Satz 1 BGB über den Umfang und die Ausübung des Umgangsrechts entscheiden und dieses Verfahren sei Amtsverfahren. bedürfe also keines Antrags. Insbesondere ergebe sich kein Problem einer Antragsbefugnis, wenn das Umgangsrecht des Kindes durchzusetzen ist. Die Anregung zum Tätigwerden könne ohne Weiteres von dem betreuenden Elternteil ausgehen, das Gericht werde dann erforderlichenfalls von Amts wegen tätig (OLG Köln, Beschluss vom 12. Dezember 2001 – 26 WF 193/01. FamRZ 2002, 979; Staudinger/Rauscher [2014j BGB § 1684. Rdnr. 158; Erman/Döll. BGB, Kommentar, § 1684 BGB, Rdnr. 32). Umgangsverfahren nach §§ 1684, 1685 BGB seien Amtsverfahren, weil sich weder aus der materiell-rechtlichen Gesetzeslage des Bürgerlichen Gesetzbuchs (vgl. § 1684 Abs. 3, 4 BGB) noch aus den Regeln des FamFG ergebe, dass es zu deren Einleitung eines verfahrenseinleitenden Antrages im Sinne von § 23 Abs. 1 FamFG bedarf (OLG Frankfurt, Beschluss vom 31. März 2015 — 5 UF 272/14 Rdnr. 16 bei juris). Dies gelte jedenfalls dann, wenn sich Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung ergeben (Prütting/Helms/Hammer, FamFG. 3. Auflage 2014, § 151 Rdnr. 39 mit weiteren Nachweisen: Poncelet in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a.. jurisPK-BGB, 8. Aufl. 2017, § 1684 BGB, Rn. 149). Der betreuende Elternteil könne auch in Verfahren, in denen zwischen den Beteiligten Streit über eine Umgangsverpflichtung besteht. aus eigenem Recht eine Umgangsverpflichtung geltend machen (Veit in: Beck’scher Online-Kommentar BGB, Hrsg.: Bamberger/Roth, Stand 01.11.2011, § 1684 Rn 50; Zempel FF 2010, 238, 243: VerfGH Berlin. Beschluss vom 29. Januar 2004, Az.: 152/03. FamRZ 2004, 970, Rn 6 zitiert nach juris: so wohl auch Borth. FamRZ 2009, 157, 160. Heistermann FF 2009, 281, 283 und Socha. FamRZ 2010. 947, 948, die ohne Differenzierung zwischen einzelnen Fallkonstellationen davon ausgehen, dass jedem Elternteil aus § 1684 BGB en materiell-rechtlicher Anspruch erwächst).

Der Senat hat im vorliegenden Fall keine Veranlassung abschließend zu klären, ob die vom Bundesgerichtshof im Jahr 2008 getroffene Entscheidung mit den vom Gesetzgeber durch das FamFG vorgenommenen Änderungen in Einklang steht.

b) Auch in tatsächlicher Hinsicht wirft der vorliegende Fall schwierige und komplexe Fragen auf, insbesondere dann, wenn die Rechtsfrage zu a) dahin entschieden wird, dass ein Umgangsverfahren von Amts wegen nur im Falle einer Kindeswohlgefährdung einzuleiten ist.

Für die Annahme von Mutwilligkeit im Sinne des § 114 Abs. 2 ZPO sieht der Senat keine Anhaltspunkte.

Prof. Dr. Ernst”